Über Misserfolg und Ehrlichkeit – Adam Ondras 9a-Versuch in der Cueva Negra in Montanejos
06/2024
@Petr Chodura
Petr Chodura
Adam Ondra
Für viele gilt Adam Ondra als der Kletterer, dem nichts misslingt. Ein aussergewöhnliches Talent, das die schwierigsten Routen aussehen lässt wie ein Kinderspiel und einen Erfolg nach dem anderen verbucht. Doch auch Adam Ondra muss hin und wieder eine Niederlage einstecken. Wie er mit seinem 9a-Versuch in der Cueva Negra in Montanejos umging, erzählt von Ehrlichkeit beim Klettern und zu sich selbst.
FĂĽr mich lassen sich Erfolge beim Klettern ganz einfach messen: Entweder du kletterst die Route oder du kletterst sie nicht. Du stĂĽrzt oder du stĂĽrzt nicht. Gut möglich, dass man „eine Route fast schaffen“ kann. Wenn du in diesem Fall aber ehrlich zu dir bist, weisst du, dass es nur darauf ankommt, ob du die Route oder das Boulderproblem geknackt hast oder nicht. Das ist der grosse Unterschied zu vielen anderen Aktivitäten, bei denen eine Bewertung meist subjektiv ist. Leider ist es aber auch beim Klettern nicht immer so einfach, wie ich es gerne hätte.Â
Es ist keine grosse Ăśberraschung, dass es im Vergleich zu anderen Kletterarten beim Alpinklettern oft mehr um die Frage geht, wie man eine Route geklettert ist, als um die Frage, ob man sie geklettert ist. Beim Sportklettern oder Bouldern ist die Sache fĂĽr gewöhnlich klarer – und trotzdem gibt es auch hier zahlreiche ethische Dilemmas, bei denen ein Urteil schwerfällt. Â
Bouldern ist eine eindeutige Angelegenheit, da hier ausser den Kletterschuhen keine AusrĂĽstung zum Einsatz kommt. Jeder Kontakt mit dem Boden, Spotter:innen oder Griffen und Tritten, die nicht zur Route gehören, macht den Versuch ungĂĽltig. In der Klettersprache wird das als „Dab“ bezeichnet. Was aber, wenn du den Boden mit deinem weiten T-Shirt oder deinen langen Haaren berĂĽhrst? FĂĽr die meisten ist das kein Dab – aber nicht fĂĽr alle.Â
Beim Sportklettern finden sich mehrere ethische Dilemmas und manche von ihnen sind nicht wirklich offensichtlich. Ăśber die eindeutigen wie Kneepads (mit BĂĽchern) und Preclippen möchte ich hier gar nicht sprechen. Bestimmte Routen werden vielleicht eliminiert und manche der Griffe, die ein wenig abweichen, zählen fĂĽr die Route, an der du dich versuchst, möglicherweise nicht. Ein ethisches Problem, ĂĽber das weniger gesprochen wird, ist das abklettern zurĂĽck zum Boden, nachdem die ersten paar Haken geclippt wurden. In mehreren Ländern ist diese Methode absolut akzeptabel. Es können daraus aber extrem bizarre Praktiken entstehen, zum Beispiel 20 Meter abklettern im leichteren Gelände, woraufhin der Grossteil der Route Toprope geklettert wird. Meiner Meinung nach sollte man nicht mehr umkehren, wenn man den Boden einmal verlassen hast – ausser zu einem Vorsprung. Und wenn der Vorsprung gerade einmal 30 Zentimeter ĂĽber dem Boden ist, ist das in meinen Augen okay.Â
«Egal, wie schwer das zu verdauen ist: Es ist wichtig, ehrlich zu sein – ganz besonders zu sich selbst.»
Vor Kurzem habe ich versucht, eine 9a-Route im spanischen Montanejos Onsight zu klettern. Mein Versuch lief wirklich gut, ich war gerade unter der SchlĂĽsselstelle, wo ich mich mit einem kleinen Knieklemmer ausruhte und mir die nächsten Schritte fĂĽr die Crux ĂĽber mir ĂĽberlegte. Kurz bevor ich weiter wollte, brach die Kante der kleinen Tufa, auf der mein Knie lag, und schon hingen meine Beine in der Luft. Ich hielt mich noch mit den Händen fest und bin nicht gestĂĽrzt. Allerdings hat sich mein Fuss leicht im Seil verheddert, wodurch mein Körper an Schwung verlor. Ich bin sicher, dass ich in dieser Situation ohne Seil niemals stĂĽrzen wĂĽrde. Ich mĂĽsste stattdessen mit mehr Schwung klarkommen, was ein wenig anstrengender wäre. Es war kein Fehler des Sichernden, er hatte genug Schlappseil. Aber der Seilzug durch ca. sechs Karabiner war schon Hilfe genug. Bei einer Sache bin ich mir sicher: Wenn das in einem Wettkampf passiert wäre (in diesem Fall wäre wahrscheinlich nicht der Griff abgebrochen, aber sagen wir, mein Fuss wäre weggerutscht), hätte mich die Jury weiterklettern lassen und es wäre kein Problem gewesen. Â
FĂĽr mich war dieser Versuch aber eindeutig vorbei, auch wenn ich die Schuld auf den abgebrochenen Felsen schieben könnte. Und auch wenn ich weiss, dass ich ohne Seil nicht gestĂĽrzt wäre, stellte ich mir die Frage: „Hat mir irgendetwas geholfen?“ Und die Antwort ist: „Ja, eine halbe Sekunde lang“. Egal, wie schwer das zu verdauen ist: Es ist wichtig, ehrlich zu sein – ganz besonders zu sich selbst. Mir fallen andere Routen ein, bei denen wegen zu viel Seilzug bestimmte Bewegungen nicht dynamisch genug sein können. Denn während eine dynamische Bewegung einen Schwung erzeugt, der schwierig zu halten sein kann, verhindert der Seilzug den Schwung – und dabei geht es nicht um die Sichernden, die dir nicht genug Durchhang geben.Â
Eigentlich ist es grossartig, dass es beim Klettern keine Jury gibt. Auf der anderen Seite ist es aber auch einfach, zu schummeln. Trotzdem geben uns solche Situation die Chance, Ehrlichkeit und Fairness zu lernen. Ich stelle mir die Welt gerne als einen solchen Ort vor, zumindest auf lange Sicht. Es ist gut, ehrlich zu sein – auch wenn es sich im ersten Moment vielleicht nicht so anfĂĽhlt. Wenn du das nächste Mal kletterst, nutze diese Chance und lerne etwas dazu – und widerstehe der Versuchung, unehrlich (zu dir) zu sein.Â