BEYOND
THE
KNOWN:
Bikepacking
in
der
TĂĽrkei.
Das
Taurusgebirge.

04/25

A cyclist rides along a rugged mountain path under a clear blue sky, donning Mammut gear, with distant snow-capped peaks in the background.

@Lena Drapella

Lena Drapella

Melina Borgmann

Hast du schon einmal davon geträumt, eine Bikepacking-Tour durch ein fernes Land zu machen? Und das mit völlig Fremden? „Beyond the Known“ folgt fünf Frauen aus fünf verschiedenen Ländern, die mit dem Gravelbike das Taurusgebirge in der Türkei durchqueren. Begleite sie auf ihrer Reise in „Beyond the Known“.

Meist sind die Sommermonate schnell mit Reiseplänen und Ideen vollgepackt. Ist da ĂĽberhaupt Zeit fĂĽr spontane Abenteuer? Als mich Sami anrief, stand ich gerade im Supermarkt zwischen Tomaten und Bananen. RĂĽckblickend war es einer dieser Anrufe, die das Leben bereichern.  

Er führte mich weit weg von All-Inclusive-Hotels und Luxusbuffets. Stattdessen tauchte ich ein in eine mir noch unbekannte Kultur, verständigte mich mit Einheimischen primär mit Händen und Füssen, und erlebte die Faszination eines Bikepacking-Trips mit all seinen Höhen und Tiefen, topografisch als auch emotional.

Die Kunst und der Reiz beim Bikepacking bestehen darin, die Balance zwischen Gewicht und Komfort zu finden. Nach einer Woche auf dem Rad merkt man, wie wenig man wirklich zum Leben braucht. Man muss sich auf alles, was man dabeihat, bedingungslos verlassen. Auch auf seine Mitstreiter und Wegbegleiter. 

Als ich den Anruf von Sami mit einem entschlossenen „Ja, ich bin dabei“ beantwortete, kannte ich niemanden aus der Gruppe. Ich wĂĽrde sie erst bei Reisebeginn in der TĂĽrkei kennenlernen. 

Vielleicht kennst du diese Magie in Gruppen:
In den ersten Stunden ist man noch zurückhaltend. Doch je mehr Kilometer man gemeinsam in die Pedale tritt, desto mehr wächst man zusammen. Man teilt nicht nur die physischen Anstrengungen, sondern auch die Emotionen. Jeder trägt seinen Teil zum Erfolg der Gruppe bei, sei es durch Motivation oder einfach nur durch ein Lächeln in einem schwierigen Moment. Man wächst schnell zusammen, egal wie unterschiedlich die Herkunft oder die Geschichten sind. Wir wurden in kürzester Zeit zur Einheit. Bis heute schafft diese Reise eine enge Verbundenheit zwischen uns allen.

Unsere Route umfasste insgesamt 327,9 Kilometer und 7.204 Höhenmeter. Wir wollten sie in fĂĽnf Tagen bewältigen. Sie fĂĽhrte uns ins Herz des majestätischen Taurusgebirges und den KöprĂĽlĂĽ-Nationalpark, eine Landschaft, die so fremdartig und faszinierend war, dass sie sich fĂĽr uns zeitweise wie eine Fahrt auf dem Mond anfĂĽhlte. Die schroffen Gipfel und tiefen Täler boten eine Kulisse, die ich in Europa noch nie erlebt hatte. Alles war so unberĂĽhrt.  

Schon der erste Tag auf dem Rad entlang des Canyons war malerisch: Kristallklares Waser, tĂĽrkisfarbene Fluten, die sich durch steile Felswände schlängelten, und steile Gebirgsanstiege, die uns den Atem raubten, nicht zuletzt wegen des schweren Gepäcks. Unsere Fahrradtaschen waren gefĂĽllt mit Flickzeug, Campinggeschirr, einem leichten Daunenschlafsack, Isomatte, Zelt und persönlichen Gegenständen. Ein Kartenspiel fĂĽr die Abende am Lagerfeuer und ein Taschenmesser durften ebenfalls nicht fehlen. Ich konnte schliesslich nicht richtig einschätzen, welche wilden Tiere im Hinterland von Antalya vermeintlich auf uns warten wĂĽrden… 

Am zweiten Tag unserer Route machten wir uns auf den Weg nach Derebucak. Die Fahrt durch die malerische Landschaft war anstrengend, aber die Aussicht auf unser erstes Campinglager motivierte uns. Nach einem One-Pot-Pasta-Dinner und einer sternenklaren Nacht ging es am nächsten Morgen weiter in Richtung des historischen Dorfes Sarihacilar an der legendären Seidenstrasse. Die osmanische Architektur und die geknöpften Häuser versetzten uns in eine andere Zeit. Vieles war zerstört und unbewohnbar, die Gastfreundschaft jedoch ĂĽberragend. Eine ältere Frau lud uns spontan zu einer Tahin-Verkostung in ihre kleine Manufaktur ein. Es war genau dieser Geruch von geröstetem Sesam, der uns in den ersten Tagen auf dem Rad immer wieder begleitete. Wann immer wir konnten, lauschten wir den Geschichten der Einheimischen. Jedenfalls dann, wenn wir einen Weg fanden, uns zu verständigen. 

An Tag vier setzten wir unsere Reise nach GĂĽndoÄźmuĹź fort. Die Vorfreude auf das Meer wuchs mit jedem zurĂĽckgelegten Kilometer. Schliesslich wĂĽrden wir am letzten Tag die KĂĽste vor Manavgat erreichen. Der Gedanke an den erfrischenden Sprung ins kĂĽhle Nass, um den Staub unserer Reise von der Haut zu waschen, beflĂĽgelte uns. Doch dieses Radprojekt sollte fĂĽr mich anders enden. 

Wir steckten wieder mitten im Nirgendwo und waren ungefähr seit einer Stunde auf dem Rad, als ich mir plötzlich vorkam wie das berĂĽhmte Reh im Scheinwerferlicht. Ein Augenblick, in dem du in Sekundenschnelle realisierst, dass es zu spät ist, um auszuweichen. Im nächsten Moment kollidierte ich frontal mit einem Auto, das um die Kurve kam. Denisa hatte es noch vorweg geschafft, aber der Fahrer musste sich wohl erschrocken haben, hier in dieser Einöde ĂĽberhaupt Radfahrer zu sehen, als er seinen Kurs leicht änderte und plötzlich auf mich zusteuerte. Im nächsten Moment, als ich meine Augen wieder öffnete, lag ich mit dem Kopf in der Windschutzscheibe. Die Zeit schien stillzustehen. Der Helm absorbierte die Kraft des Aufpralls und während alle um mich herum besorgt versuchten, mich aus den Scherben zu befreien, hatte ich dieses merkwĂĽrdige GefĂĽhl von Sicherheit. Ich spĂĽrte keinen Schmerz, realisierte auch die Scherbe in meinem Nacken und die Wunden zu dem Zeitpunkt nicht. Eigentlich war doch alles halb so wild, oder etwa nicht? 

Ich kam ins Krankenhaus, ohne dass mich zunächst wirklich jemand verstand. Im Rettungswagen versuchte der Sanitäter freundlich via Google Translator Smalltalk mit mir zu fĂĽhren. Später gab mir der Arzt dann ganz ohne Worte zu verstehen, wie knapp das Ganze fĂĽr mich ausgegangen ist. Die Scherbe, die sich in meinen Nacken gebohrt hatte, verfehlte eine lebenswichtige Arterie nur um 1-2 Zentimeter. 
 
Bei diesem Unfall hatte ich mehr GlĂĽck als Verstand. Am nächsten Morgen machten sich die Mädels wieder auf den Weg und setzten unsere Route allein fort. Meine Dankbarkeit darĂĽber, so glimpflich davon gekommen zu sein, wich einem anderen GefĂĽhl: Unvollständigkeit.  Irgendwie war ich traurig. Es war meine erste sportliche Challenge, die ich nicht zu Ende bringen konnte. NatĂĽrlich gehören RĂĽckschläge im Sport dazu. Man wächst mit den Bergen und man scheitert an ihnen – logisch. Aber nach all den Radrennen, Touren und Kilometern, die ich in diesem Jahr schon gesammelt hatte, wer hätte gedacht, dass gerade die tĂĽrkischen Berge mir diese wichtige Lektion auf eine so harte Art beibringen wĂĽrden? 
Auf sein Schicksal hat man keinen Einfluss…  

Und doch begleitete mich der Gedanke sie ein StĂĽck weit im Stich gelassen zu haben bis zum Schluss.

Wir waren in so kurzer Zeit unglaublich eng zusammengewachsen. Jede hatte ihre Rolle im Team. Da war es klar, dass ich keine Minute mit ihnen missen wollte, schon gar nicht das Ende. Umso mehr freute ich mich darüber, sie alle am Strand – dem Ziel – wiederzusehen. Gewiss habe ich auf diesem Abenteuer eine Menge gelernt, aber noch viel wertvoller war die Erkenntnis, wie schnell aus Fremden wahrlich Freunde werden können. Wir sind sicher nicht zum letzten Mal zusammen Rad gefahren. Das nächste Abenteuer liegt bestimmt nur einen Supermarktbesuch entfernt.

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