Freeriden auf dem aktiven Vulkan
06/2021
06/2021
@Thomas Monsorno
Thomas Monsorno
Rafael Muñoz Luño
Genau so hatte es sich Shanty vorgestellt: Weisse Linien auf schwarzem Grund, auf Skiern in eine unwirkliche Landschaft gemalt. Das Spiel der Gegensätze, aussergewöhnliche Bilder und ein einzigartiges Freeride-Erlebnis. Dazu musste erst ein Vulkan ausbrechen.
Eine seltene Chance
Shanty Cipolli war ohnehin in Süditalien unterwegs. Für sein Projekt ArroSKIcini tourte der italienische Freerider und Bergführer durch die Gebirgszüge des Appenin. «Wir starteten Ende März unsere Tour am Fusse des Ätna, durchwanderten Orangen- und Zitronenplantagen. Zu diesem Zeitpunkt war es kaum vorstellbar, später auf Skiern über Schneeflächen zu gleiten, die mit schwarzem Lavasand überzogen waren.»
Es war ein seltenes Naturereignis. Ein halber Meter Neuschnee hatte sich auf den Ätna gelegt. Dann wurde der Vulkan aktiv, spie Rauch und Asche. Unzählige Lapilli – italienisch für Steinchen – regneten auf den Neuschnee und bildeten eine dünne, schwarze Decke. Auf der Suche nach atemberaubenden Locations ergab sich unverhofft eine einmalige Gelegenheit: Auf Skiern einen aktiven Vulkan hinabzufahren.
Shanty Cipolli wollte diese Chance nutzen. Als er uns kontaktiert, ist uns sofort klar: Das mĂĽssen wir machen. Doch ist das Risiko kalkulierbar?
«Es hatte 50 cm Neuschnee gegeben und kurz darauf ist er ausgebrochen. Ein wahres Naturspektakel.»
Gefährte für die Sicherheit
Nuccio Faro kennt den 3'340 Meter hohen Ätna wie nur wenige andere. Als der Vulkanführer vom Projekt hörte, dachte er: «Diese Jungs sind verrückt. Sie haben die Wahl zwischen all den imposanten Bergen in den Alpen und entscheiden sich für den Ätna?»
Doch er lässt sich schnell von der Idee packen. «Dieses Jahr war aussergewöhnlich. Wenige Tourengänger wagten sich auf den Ätna, es hatte 50 cm Neuschnee gegeben und kurz darauf ist er ausgebrochen. Ein wahres Naturspektakel.»
Mit seinem Wissen über den höchsten aktiven Vulkan Europas ist Nuccio die ideale Begleitung für das Team. «Unser sicheres Zeitfenster war kurz. Der Vulkan bereitete sich auf eine neue explosive Phase vor. Beben, Knalle, ausströmende Gase und die Windrichtung – alles Signale, die es während der Tour ständig zu überprüfen gab».
Schwerstarbeit fĂĽr Team und AusrĂĽstung
Mit dem Bus geht es am ersten Tag zum Startpunkt. Zwei Tage zuvor hatte es auf dem Ätna geschneit. Danach bedeckte ein Ausbruch alles mit vulkanischem Gestein. Shanty erkundet die Bedingungen und will herausfinden, ob das schwarz-weisse Spektakel auf Skiern möglich ist.
Der Aufstieg auf den sandähnlichen Lapilli kostet besonders viel Kraft. «Es ist sehr anstrengend, auf diesem Sand zu laufen. Wir müssen ausserdem das ganze Material viele Meter weit nach oben schleppen», sagt Shanty. Rechen und Schaufeln sind mit im Gepäck, um das Gestein von der Schneedecke zu entfernen. Die Reibung wäre sonst zu gross und der Untergrund mit Skiern nicht befahrbar.
Bei seinen ersten Versuchen bleibt Shanty nicht selten im Vulkangestein stecken. Auch der eine oder andere Sturz sorgt zum Glück nur für Gelächter. Die ungewöhnlichen Bedingungen bedeuten Schwerstarbeit für das Team und für die Ausrüstung. Vereinzelte heisse Ascheregen brennen kleine Löcher in die Kleidung. «Jetzt ist die Jacke eben etwas weniger wasserdicht als gewöhnlich», scherzt Shanty.
«Während der Aufstiege spürte ich die Explosionen und Erschütterungen...Ich spürte die Kraft der Natur so intensiv wie selten zuvor.»
Kraft der Natur
Die Szenerie beeindruckt den Freerider tief: «Während der Aufstiege spürte ich die Explosionen und Erschütterungen. Das liess mich die Natur in ihrer vollen Kraft und Schönheit erleben. Oben angekommen, ein atemberaubender Blick über rauchende Krater bis hinunter zum Mittelmeer. Ich spürte die Kraft der Natur so intensiv wie selten zuvor.»
Ein einmaliges Erlebnis
Als das Team ein letztes Mal aufbricht, sind alle erschöpft. «Wir sind kaputt», sagt Shanty. «Jedes Mal dieser Aufstieg, auf diesem Sand zu laufen, das macht dich fertig. Und er ist immer noch 3000 Meter hoch!» Er begutachtet seine Skier, die von den rasiermesserscharfen Lapilli gezeichnet sind. Lachend hält er sie in die Kamera: «Mal sehen, ob sie heute noch durchhalten. Auf jeden Fall sind sie jetzt auch für das Fahren auf Gestein geeignet.»
Eine letzte Runde. Atemberaubende Abfahrten über eine mondähnliche Landschaft. Rauchsäulen, Erschütterungen, das schwarz-weisse Farbenspiel in einer traumhaften Szenerie. Spektakuläre Aufnahmen, vor allem aber eine bleibende Erfahrung für das gesamte Team. «Die Asche auf dem Schnee hat die Abfahrt mit den Skiern zu etwas Besonderem gemacht», schwärmt der Foto- und Videograf Thomas Monsorno. «Shanty zuzusehen, wie er weisse Spuren in die Schicht aus schwarzer Asche zeichnet, führte mir die Besonderheit des Berges vor Augen. Das war ein einmaliges Freeride-Erlebnis.»